Der Regen hing schwer über dem Anwesen der Familie von Weyerstein. Es war ein trüber Morgen Anfang November, die Art von Tag, an dem selbst die Vögel still blieben. Das Schloss, halb verborgen hinter Nebelschleiern, wirkte mehr wie eine Erinnerung als ein Zuhause. Michael Zenner stieg aus dem dunklen Wagen. Er trug einen alten, abgewetzten Mantel, der einst beige gewesen war, jetzt aber die Farbe von nassem Asphalt angenommen hatte. Seine Augen - müde, aber scharf - glitten über die steinernen Löwen, die links und rechts die Treppe zum Haupteingang bewachten. ,,Adel", brummte er, mehr zu sich selbst als zu dem jungen Polizisten, der ihm schweigend gefolgt war. ,,Die haben ihre eigenen Regeln. Und ihre eigenen Leichen." Der Kommissar hatte in seiner Laufbahn viele Orte gesehen. Doch alter Adel, das war immer ein spezielles Terrain. Da wurde nicht laut geschrien, da wurde getuschelt. Und wenn jemand starb, dann starb er nicht einfach - dann starb er mit Anstand. Und mit einem Haufen Geheimnisse. Im Salon wartete bereits die Gräfin - eine schlanke, kühle Frau mit silbernem Haar und einem Blick, der sich anfühlte wie ein Frosthauch im Nacken. Neben ihr stand ein Butler, so steif, dass man glauben konnte, er sei mit dem Mobiliar verwandt. ,,Kommissar Zenner", sagte die Gräfin, ohne aufzustehen. ,,Ich nehme an, Sie möchten den Toten sehen." Zenner nickte. ,,Und hören, was Sie nicht erzählen wollen." Ein Hauch von Belustigung huschte über ihr Gesicht. ,,Wie direkt von der Straße. Sie müssen ein Mann des Volkes sein." ,,Ich bin ein Mann der Wahrheit, Gräfin. Und die liegt selten auf dem silbernen Tablett." Sie deutete zur Bibliothek. ,,Dann kommen Sie. Mein Bruder hat dort... nun ja, er hat dort aufgehört zu atmen."
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